Mancher kann es sich kaum vorstellen: Musiklehrer Benedikt Brändle beendet nach 35 Jahren seine Tätigkeit als Leiter des Kammerchors am HöGy. Nur annähernd lässt sich auf den ersten Blick ausmalen, wie viele Schülerinnen und Schüler er in dieser langen Zeit betreut, begeistert und inspiriert hat. Entsprechend emotional verabschiedeten die Chormitglieder das musikalische Urgestein nach dem diesjährigen Sommerkonzert – als regelrechte Fans mit Herzplakaten, Blumen, umgedichteten Liedern.
Die beiden virtuosen Aufführungen der Carmina Burana lassen ahnen, woher die Begeisterung der Kinder und Jugendlichen rührt: Es ist eben diese berühmte Mischung aus Können, Humor und Charme, mit der Benedikt Brändle als Chorleiter immer glänzte.
Der HöGy-Kammerchor zeigte bei der Darbietung des grandiosen Chorwerks von Orff alle Facetten seiner Fähigkeiten. Ehemalige sowie die seit vielen Jahren von Benedikt Brändle geleitete Kurrende Tübingen füllten die Reihen auf. In stimmgewaltigen Szenen standen bisweilen nahezu 200 Sängerinnen und Sänger auf der Bühne und verzauberten das mitgerissene Publikum im voll besetzten Festsaal. Die einstige HöGy-Schülerin Johanna Beier (Sopran) und Johannes Fritsche (Bariton) bereicherten das Programm mit äußerst professionellen Solo-Beiträgen.
O Fortuna! Das große Rad des Schicksals drehte sich und kreiste durch alle Bereiche des Lebens. Die mittelalterlichen Texte erscheinen oft erstaunlich modern: Liebe, Eifersucht, Verlust, Verlockung, Tänze und Feiern. All das interpretierten Chor, Solisten und Instrumente virtuos über alle Tonlagen und Tempi. Abwechslungsreich gestaltete sich auch die Choreografie bis hin zur szenischen Darbietung – plastisch, kreativ und humorvoll, eben typisch Brändle! Der Chor bewegte sich an geeigneten Stellen, formte leichte La-Ola-Wellen, hielt bunte Herzen bei Liebesthemen in die Höhe.
Zwischendrin wurde es richtig handfest: Bierkästen als Sitzbänke, andere aufgestapelt zu Tischen, überall Flaschen und Dosen! Mitten in der „Taberna“, eben jener zeitlosen Form der geselligen Kneipe, hingen die bierseligen Saufbrüder ab – halb trinkend, halb singend. Und sie erzählten melodisch von noch weiteren Zechern: Diener und Kaiser, Oma und Papst…
Auch die Tierwelt fehlte nicht. Ein gegrillter Schwan klagte in satirisch-makabrer Form sein Leid. Augenzwinkernd lässt der mittelalterliche Dichter das Schicksal auch an ihm nicht vorüberziehen. Dabei war Tenor Florian Eisentraut mit Stimmgewalt in schwanenweißem Anzug für diesen Auftritt wie geschaffen.
So handelte es sich um ein besonderes HöGy-Sommerkonzert, bei dem zwischen Abschied und Neubeginn, Virtuosität und Humor die eingangs beschworene Fortuna überall spürbar war.
Peter Witzmann