DDR-Zeitzeugenbesuch von Nadja Klier

Mit beschwingter Stimme und inspirierendem Auftreten hieß Nadja Klier die Kursstufe 2 willkommen, um uns ihre Geschichte als Zeitzeugin der DDR zu erzählen und um uns das Leben im damals zweigeteilten Deutschland näherzubringen.
Dabei hat sie immer wieder aus ihrem Buch „1988 Wilde Jugend“ vorgelesen und Bilder gezeigt, was ihre Jugendzeit greifbarer machte.

Nachdem sie uns animierte, ihr gerne Fragen zu stellen, begann sie zu erzählen.

Nadja Klier war mit ihrer Mutter früh nach Berlin gezogen. Nur 300 Meter von der Mauer entfernt hatten sie gewohnt. „Auf meinem Weg in den Kindergarten konnte ich die Mauer jeden Tag sehen, sah die Betonbarrikaden, die Doppelmauer und die spanischen Reiter. Es sah aus, als wäre es unmöglich, die Mauer zu überwinden.“ Dennoch versuchten es viele, wollten aufgrund des sozialistischen Systems aus dem Osten in den Westen. Die Folgen waren Haft. Manchmal nur für einige Monate, manchmal auch für Jahre.
Sie schilderte, dass ihr Mann, aber auch ihre Eltern in Haft saßen.
Ihr Mann aufgrund von Republikflucht. Während seiner Zeit in Haft hatte er viele Gefängnisse von innen gesehen und wurde erst zwei Tage vor dem Mauerfall entlassen.
Kliers Eltern wurden wegen ihrer systemkritischen Einstellung verhaftet. Diese wurde ihnen zum Verhängnis, denn sie bekamen Berufsverbot, wurden „kaltgestellt“. So erging es zahlreichen Menschen, die eine kritische Haltung zum System der DDR hatten und diese öffentlich kundgaben. Die Kirchen waren hierbei die einzigen Zufluchtsorte, an denen man seine Meinung äußern konnte.
Viele wurden bespitzelt, so auch Nadja Klier, die erzählte, wie sie in ihrer Wohnung mit Funkgeräten und Feldstechern bespitzelt wurden. Ihnen wurde somit jegliche Privatsphäre geraubt. An dieser Stelle sah man einige fassungslose Gesichter vieler Anwesenden.  Es ist für uns schlichtweg nicht vorstellbar, aus dem Fenster zu schauen und Personen zu sehen, die offensichtlich jeden Schritt und Tritt beobachten, den man macht.
Nach ihrer Ausbürgerung (Kliers Familie wurde in den Westen abgeschoben, als sie 15 Jahre alt war) fotografierte die Stasi im Detail die Wohnung der Familie. Die Bilder davon bekam sie erst vor ein paar Jahren und sie erläuterte ihre Gefühle und Gedanken, die ihr beim Betrachten dieser Bilder durch den Kopf gingen: Schock, Verblüffung, Nostalgie, Fassungslosigkeit. Dabei zeigte sie auch einige dieser Bilder der Wohnung und gewährte uns damit einen privaten Einblick in ihre Jugendzeit.
Das diffizile Aktensystem der Stasi und die zahlreich geschriebenen Beobachtungsprotokolle machten sehr genaue Aufzeichnungen möglich, mit denen Profile von den Menschen erstellt wurden, um sie leichter brechen zu können.

Man musste nach dem System funktionieren, dieselben Werte wie die Regierung teilen und eine sozialistische Mentalität in sich verankert haben, um ein ansatzweise angenehmes Leben in der DDR zu haben. Handelte man im Sinne der SED, wurde man belohnt. Die FDJ, die Freie Deutsche Jugend, ein kommunistischer Jugendverband, verteilte Tickets für Bands. Man hatte eine größere Chance, studieren zu dürfen, wenn beispielsweise die eigenen Eltern in der SED Mitglied waren, denn in der DDR gab es keine freie Berufswahl. Nur zwei Personen pro Klasse durften studieren, allen anderen wurde eine Ausbildung zugeteilt. Es war somit definitiv von Vorteil, nach der Pfeife des sozialistischen Systems zu tanzen.
Doch selbst dann wurde man tagtäglich mit den negativen Seiten der DDR konfrontiert: Schon von klein auf wurden die Kinder, wie auch Frau Klier, zur Selbstständigkeit erzogen, denn die Eltern waren die meiste Zeit am Arbeiten und die Kinder allein. Akuter Wohnungsmangel stellte ein wesentliches Problem dar, aber noch schlimmer war das Wirtschaftssystem. Diese Mangelwirtschaft sorgte dafür, dass der Alltag der Menschen in der DDR von Versorgungsmängeln gekennzeichnet war. Zwar sicherte das Angebot in den Geschäften den Grundbedarf der Menschen, Engpässe gab es jedoch bei der durchgängigen Versorgung mit hochwertiger Kleidung, ansprechenden Möbeln, Bettwäsche, Fleisch, Wurst, Obst und Gemüse.
Klier berichtete, dass man sich jeden Donnerstag anstellen musste, um an Produkte zu kommen, die dann oftmals ausverkauft waren. Vor allem technische Konsumgüter wie Stereoanlagen oder Farbfernseher waren schwer zu erhalten und teuer. Die Jugendlichen versuchten also die Dinge, die sie brauchten, selbst zu machen oder sie klingelten bei Leuten, um beispielsweise Stoffe zu sammeln. „Wir haben, wie man es damals bei uns sagte, aus Scheiße Bonbons gemacht“, so Klier, während sie keck lachte und ausführte, dass jedoch nicht alles schlecht und schwierig in ihrer Jugendzeit war.

Mit ihrer Freundin Anna verbrachte sie ihre freie Zeit damit, sich zu sonnen und Musik zu hören, sie beschäftigten sich mit „Normalem“. Beide schrieben Tagebuch, welches sie getauscht hatten, bevor Klier ausgebürgert wurde. „Dieses Ereignis hat mich seelisch zerrüttet und wirklich traumatisiert“. Diese Zeit war sehr hart für sie und noch heute sind nicht alle Wunden wieder verheilt. Vor allem die Trennung von ihrer besten Freundin Anna erschwerte es ihr, wieder wirklich glücklich zu werden, da sie viel Positives in ihrer Jugend mit ihr verband. Das Einzige, was die Freundinnen nun noch verknüpfte, war das Tagebuch der jeweils anderen. Beide Mädchen schrieben alle wichtigen Geschehnisse und ihre Gefühle dort hinein, in der Hoffnung, dass sie sich irgendwann wiedersehen können. Mit der Antwort, ob sie es denn taten, ließ sich Frau Klier Zeit, denn sie sah, wie gebannt wir an ihren Lippen hingen. Dann lüftete sie aber das Geheimnis und beschrieb lächelnd, dass sie Anna nach dem Mauerfall zum Glück wiedergetroffen hatte.
Doch mit dem Mauerfall war nicht automatisch alles wieder gut, wie sie klarstellte: „Mit dem Zusammenbruch der DDR verloren viele Menschen einen Teil ihrer Identität.“ Verständlich, denn die Ideologie der DDR wurde den Menschen seit dem Kindergarten tagtäglich vermittelt. Die SED griff in jeden Lebensbereich der Leute ein und versprühte die sozialistische Mentalität. Wer nicht nach dem System funktionierte, wurde entweder bespitzelt oder verhaftet.

Und obwohl Nadja Klier mit Sicherheit keine leichte Jugendzeit hatte, sieht ein jeder heute ihre Fröhlichkeit, hört sie scherzen und freimütig berichten. Man erkennt, wie wichtig es ihr ist, Schüler und Schülerinnen über die Zustände der DDR aufzuklären und von ihren Erlebnissen zu berichten.

Vielen Dank, Frau Klier, dass Sie uns Ihre Geschichte erzählt haben.

Leonie Winger