Römer – Shakespeare – Badevergnügen: Exkursion der 10. Klassen nach Verona

Im Grunde befindet sich der Balkon in einem Hinterhof, misst nur wenige Meter, und die Aussicht ist nicht der Rede wert. Und doch handelt es sich um den berühmtesten Balkon der Welt: in der Casa di Giulietta in Verona.

Hier soll die bekannteste Liebesgeschichte der Literatur, Shakespeares Romeo und Julia, gespielt haben und hier trafen sich heimlich die beiden Vertreter der verfeindeten Familien. Bei so viel Superlative war es im wahrsten Sinne des Wortes ein erhebendes Gefühl den Balkon nicht nur wie Romeo aus dem Hof zu betrachten. Es bot sich auch die Gelegenheit, oben die Perspektive der Julia einzunehmen, deren bronzene und abgegriffene Statue im Innenhof von Touristen förmlich bedrängt wird und die ein Schwall unterschiedlichster Sprachen aus aller Welt umschwirrt.

Die Idee zu der Verona-Fahrt entstand im Unterricht zwischen Partizipien, Ablativus Absolutus und Übersetzung: Warum sollen nur die Französisch- und Spanisch-Klassen ins Ausland fahren? Zwar sind potenzielle altrömische Austauschpartner schon seit knapp 2000 Jahren ausgestorben, doch Norditalien ist nicht weit! Und Verona schön gelegen zwischen Alpen und Gardasee.

Und selbst bei Shakespeares berühmtem Liebesdrama war eine antike Geschichte Vorbild, die sich für den Unterricht eignete und die der römische Dichter Ovid überliefert: Pyramus und Thisbe – wie bei dem großen englischen Dramatiker eine unglückliche Liebe mit viel Tragik und ohne Happy End. So leben auch heute – bewusst oder unbewusst antike Anklänge im Haus der Julia fort.

Richtig römisch wurde es dann bei der erstaunlich gut erhaltenen Arena, dem zweiten großen Wahrzeichen der Stadt. Wo früher Schwertkämpfer und wilde Tiere die Bevölkerung bei Laune hielten, finden heute Opernaufführungen statt: Guiseppe Verdi statt Gladiatoren auf der größten Opernfreilichtbühne der Welt – Superlative über Superlative. Im Inneren eine Mischung aus Alt und Neu: antike Sitzreihen und rote Bestuhlung, weiß schimmernde 2000 Jahre alte Bögen und modernste Technik auf gläserner Bühne. Nebenbei eröffnet sich oben eine gute Aussicht auf Verona, und die breite Piazza Bra.

Apropos Aussicht: Deutlich höher hinaus ging es auf dem Torre dei Lamberti, einem mittelalterlichen Turm aus dem 12. Jahrhundert. Schweißtreibende 368 Stufen führen durch das etwas finstere Gemäuer zu einem Aussichtsplateau, das so alt ist wie der Hohenneuffen. Von hier bietet sich ein weiter Blick auf die Stadt und die Vorläufer der Alpen, und nicht weit entfernt in der Ebene kam Henry Dunant angesichts einer blutigen Schlacht der Gedanke, das Rote Kreuz zu gründen.

Eine kleine wippende Italien-Fahne auf einem langen Stab war das Erkennungszeichen eines redseligen Reiseführers, der die Gruppe kreuz und quer durch die Stadt leitete. Die Familie della Scala, ein bauwütiger und teils mafiösen Clan, beherrschte Verona im späten Mittelalter und hinterließ unter anderem eine wuchtige Burg, um sich vor der eigenen Bevölkerung zu schützen. Überall erkennbar ist der typische Stil an den Zinnen in Form eines Schwalbenschwanzes – Corporate Identity vor 500 Jahren. Um ihren Feinden das Fürchten zu lehren, benannte sich der Clan nach Hunden – einer hieß Mastino, eine Rasse für die Hundehalter heute wegen ihrer Gefährlichkeit einen speziellen „Führerschein“ benötigen.

Aus der Römerzeit stechen immer wieder gut erhaltene Reste aus dem schönen Stadtbild hervor – die Porta Borsari, ein altes Tor oder der Triumphbogen, malerisch an der Etsch gelegen, durch den sich noch Reste der alten Pflasterstraße mit eingekerbten Wagenspuren ziehen. Die Stadt muss in der Antike lange Zeit eine Art „Insel der Seligen“ gewesen sein, ohne Feinde und daher ohne Stadtmauer.

Man kann fast sagen, dass es sich bei dem Ausflug nach Sirmione an den Gardasee um eine Form der experimentellen Archäologie handelte. Denn am Fuße einer malerisch gelegenen römischen Villa, der größten ihrer Art in Italien, finden sich auf der pittoresken Halbinsel Badestrände, die seit über 2000 Jahren für Abkühlung sorgen: zwischen grünblauen Wellen, Bergen und wuchtigen Mauern eröffnen sich selbst vom See her antike Perspektiven.

Catull, der römische Dichter, nach dem die mächtigen Ruinen in Sirmione heute benannt sind, steht auf dem Bildungsplan der Oberstufe in Latein. Mit der Erinnerung an Wasser, Badestrände Pizza und Eis hören sich die gelesenen Zeilen anders an – trotz Partizipien und Ablativus Absolutus.

Die Klassen 10a,b,c,d