Die Stadt Nürtingen hatte am Samstag, 24.02.2024 zu einer Versammlung „Für Demokratie und Menschlichkeit – gegen Rechtsextremismus und Antisemitismus“ in Nürtingen aufgerufen. Auch die Nürtinger Schulen waren eingeladen, Wortbeiträge einzubringen. Nach einer aufrüttelnden Rede von OB Dr. Fridrich sendete Alina Bosche (KS1) vom HöGy eine emotionale und nachdenklich stimmende Botschaft, die von eigener Erfahrung ausging, an die große Zuhörerschaft auf dem Schillerplatz:
Als ich noch kleiner war, hatte ich ganz oft total dumme Ideen. Zum Beispiel habe ich einmal mit ungefähr acht Jahren beim Grillen die Idee gehabt, eine Fackel zu bauen. Dafür habe ich mir einen Stock genommen und dann das Brennmaterial meiner Wahl, eine Plastikverpackung, oben draufgesetzt und das Ganze angezündet. Bis heute der Grund der größten Narbe an meinem Körper. Ich habe mich dazu entschieden, das Ganze fortan sein zu lassen.
Wenn ich jetzt meinen Freunden meine Narbe zeige und von meiner damaligen grandiosen Idee erzähle, kommt meistens so etwas zurück wie: „Du warst schon ein echt dummes Kind, oder?” Naja, auch wenn ich so daran zurückdenke, denke ich so etwas wie: Wie kann ich so etwas Dummes gemacht haben, ohne irgendwie daran zu denken, dass das zu negativen Konsequenzen führen könnte? Das Ding ist aber, dass wir diese ganzen negativen Konsequenzen oft überhaupt nicht kommen sehen. Vor allem ist das so, wenn wir Dinge zum allerersten Mal machen. Ich habe davor noch nie eine Plastikfackel angezündet, ich wusste nicht, was das für ein riesengroßes Drama wird, wenn das heiße Plastik auf der Haut landet. Habe ich erst gecheckt, nachdem es passiert ist.
Eine Sache daran ist aber ziemlich super: Und zwar muss nicht jeder Mensch so eine Fackel bauen und sich daran verbrennen, um zu checken, dass das eine dumme Idee ist. Zum Beispiel waren an dem Tag ganz viele andere Kinder da, die meine Fackelidee übrigens genial fanden, nicht dumm. Als ich mir dann meine Narbe geholt hatte, habe aber nicht nur ich aufgehört mit der Fackel zu spielen, sondern die anderen Kinder auch. Auch die Kinder, die nicht da waren und später in der Schule davon gehört hatten, haben das nie selbst ausprobiert. Das ist das Coole daran. Wir lernen nicht nur etwas aus unseren eigenen Narben, sondern auch aus denen von Anderen.
Jetzt bin ich heute hier und kann nicht viel tun, meine Narbe habe ich ja schon. Das ist aber was ganz Normales, eigentlich hat jeder Mensch schon einmal etwas gemacht und sich im Nachhinein gedacht: Naja, das hätte ich auch noch einmal überdenken können. Zum Beispiel haben sich sehr viele schon einen richtig schlimmen Sonnenbrand am Strand geholt, weil sie die Sonne unterschätzt haben. Oder haben sich richtig doof den Kopf angehauen, weil sie ohne Helm Fahrrad gefahren sind. Fahrradhelme sind ja bekanntlich „uncool”.
Und auf so eine ähnliche Art haben sich mal eine Menge Leute gedacht, dass es vielleicht eine gute Idee wäre, einmal etwas anderes auszuprobieren als die Demokratie. Die Konsequenzen, die „Narben” eben, trafen ein und das Fazit war: Die Demokratie abzulehnen ist tatsächlich eine von dem dummen Ideen, bei denen man erst merkt, wie dumm sie eigentlich ist, nachdem der Fehler begangen wurde und man sich denkt: Wir müssen das fortan sein lassen und wir erzählen außerdem den Anderen davon, wie dumm diese Idee war, damit sie denselben Fehler nicht begehen müssen. Oder anders gesagt: Wir müssen den Anderen unsere Narben zeigen, damit die sich nicht selbsr wehtun müssen.
Es gibt aber ein Problem hierbei: Wir Menschen drehen uns oft im Kreis, wir wiederholen unsere dummen Ideen. Menschen grenzen sich gegenseitig aus, wenden Gewalt an, verbreiten Hass. Wieder und wieder und wieder, unabhängig vom wieder- und wieder- und wiederkehrenden Leid, das hierdurch entsteht. Das passiert nämlich, wenn man die Narben der Anderen ignoriert. Wenn man es trotzdem einmal selbst probieren will. Dann merkt man erst, wie dumm die Idee war, wenn man selbst vernarbt ist.