Was treibt 7 Schülerinnen und 3 Schüler des Hölderlin-Gymnasiums in die Wüste?
In der Negev Wüste im Süden Israels leben ca. 300 000 Beduinen, Nachkommen eines ehemaligen Nomadenvolkes, zu 50% in anerkannten Dörfern und zu 50% in nicht anerkannten Dörfern zusammen. Einige von ihnen leben in der einzigen Beduinenstadt Rahat, unweit von Be’er Sheva, der Hauptstadt der Negev Wüste und damit in unmittelbarer Nachbarschaft zur jüdischen Bevölkerung. In diesem Spannungsfeld arbeiten seit nunmehr 10 Jahren die Organisationen “A New Dawn in the Negev” mit Sitz in Rahat und “Friendship across Borders” mit Sitz in Nürtingen zusammen. Ihr Ziel ist es, beduinische Israelis, jüdische Israelis und Deutsche zusammenzubringen. In diesem Jahr findet zum ersten Mal eine solche Begegnung zwischen Schülerinnen und Schülern der beduinischen Schule in Abu Thlul, der jüdischen Schule in Eshel Hanasi und dem Hölderlin-Gymnasium in Nürtingen statt.
9.2.2019 Abu Thlul
Nachdem wir gestern von unseren Partnern und deren Familien in Empfang genommen wurden, gibt es heute bei unserer ersten Zusammenkunft an der beduinischen Schule in Abu Thlul viel zu berichten. Vier von uns sind bei beduinischen Großfamilien in der Umgebung der Schule untergebracht und weitere sechs bei jüdischen Familien in Lehavim, einer wohlhabenderen Ortschaft in der Nähe von Be’er Sheva. Größer könnten die Unterschiede in Lebens- und Sichtweise gar nicht sein.
Wir verbringen den Tag mit diversen Workshops bei denen wir uns näher kennenlernen und mehr voneinander erfahren.
10.2.2019 Rahat – Eshel Hanasi
Heute geht es nach Rahat, wo wir von der Organisation “A New Dawn in the Negev” begrüßt werden.
Mit einer Einwohnerzahl, die in etwa derer Nürtingens entspricht, ist Rahat die einzige Beduinenstadt in Israel. Wir erfahren viel über die Organisation, die uns alle zusammengeführt und hierher gebracht hat, ihre Arbeit und über die Stadt. Auch wenn es keine Einrichtungen wie Kino und Theater gibt, so gibt es doch einen Markt, der auch von der jüdischen Bevölkerung in der Umgebung besucht und genutzt wird. Auch die Familien unserer jüdischen Austauschschüler aus dem nahegelegenen Lehavim kommen hierher zum Einkaufen. Manche der beduinischen Jugendlichen aus Rahat gehen auch auf die Schule unserer jüdischen Partner, nach Eshel Hanasi.
Nach einem Rundgang durch die Stadt und über den Markt geht es weiter nach Eshel Hanasi, wo wir die Schule unserer jüdischen Partner besichtigen. Während die Schule in Abu Thlul als markanter Neubau in der kargen Wüstenumgebung herausragt, gleicht Eshel Hanasi einem Dorf. Es gibt dort neben den Schulgebäuden auch Schlafräume für die Internatsschüler, Obstgärten mit Zitrusfrüchten und eine Farm mit Kühen, Schafen und Hühnern.
Die Farm der Schule
Im Garten
Das Highlight der Schule ist jedoch die eigene Radiostation, in welcher unsere Gruppe heute ihr eigenes Musikprogramm zusammenstellen darf.
Immer mit von der Partie ist unsere Filmemacherin Gerburg
11.2.2019 Jerusalem – Yerushalaim
Jerusalem, Sehnsuchtsort dreier Weltreligionen und Pulverfass zugleich, hier erzählt jeder Stein seine eigene Geschichte. Die Stadt ist voller Touristen und heute sind wir dabei. Von einer der vielen Dachterrassen in der Altstadt schauen wir auf die Türme und Kuppeln der Stadt und auf das gegenüberliegende Ostjerusalem, vom Ölberg bis hin zur Mauer zum Westjordanland.
Hauptziel unseres Besuches jedoch ist Yad Vashem – zu Deutsch Hand und Name – das Museum zum Gedenken an die 6,5 Millionen in der Shoah ermordeten Juden. Den Opfern einen Namen geben, damit sie nicht in Vergessenheit geraten, ist das wesentliche Anliegen der Gedenkstätte. 4,5 Millionen Namen wurden hier zusammengetragen und aufgelistet. 2 Millionen bleiben für immer in Vergessenheit. Im Museum ist es nicht erlaubt zu fotografieren. Dies ist auch nicht erforderlich, denn die Bilder und Geschichten bleiben im Gedächtnis haften. Nach dem Besuch der besonders eindrücklichen Gedenkstätte für die 1,5 Millionen ermordeten Kinder verlassen wir den Ort ohne Sprache. Danach stehen die drei Gruppen von einander getrennt zusammen: Juden, Beduinen und wir Deutsche. Jede einzelne muss mit ihren Gefühlen zunächst alleine zurechtkommen. Erst beim anschließenden Gang durch die Altstadt rücken wir wieder zusammen. Und die Stadt zeigt sich gegen Abend in einem besonderen Licht.
12.2.2019 Workshops und Unrecognized Villages in Abu Thlul
Die Spannungen, welche zwischen den beduinischen und jüdischen Teilnehmern während unserer Diskussionsrunden immer wieder spürbar wurden, treten heute, während und nach dem Besuch eines der nicht anerkannten beduinischen Dörfer, nahe der Schule in Abu Thlul, deutlich zutage.
Blick auf eines der vielen unrecognized villages in der Umgebung der Schule
Unbefestigte Straßen, kein Wasser, keine Elektrizität, weil es ihnen von der Regierung verwehrt wird, sagen die einen – solange ihr eure Häuser und Siedlungen ohne Genehmigung dort aufbaut, wo ihr wollt, könnt ihr dies alles nicht erwarten, sagen die anderen. Wir haben schon immer dort gelebt sagen die einen – aber nun gelten die Gesetze des Staates Israel, sagen die anderen. Am Ende des Tages gelingt es einigen doch wenigstens einander zuzuhören. Wir beginnen zu verstehen, warum das Zusammenleben in Israel so viel schwerer ist als bei uns.
13.2.2019 Workshops und öffentlicher Abend in Abu Thlul
Die Workshops heute dienen der Vorbereitung des öffentlichen Abends, zu dem Vertreter der teilnehmenden Schulen und Organisationen und die Eltern eingeladen sind. Unsere Präsentationen zeigen, wie sehr wir zusammengewachsen sind über alle Unterschiede, Meinungsverschiedenheiten und Auseinandersetzungen über schwierige Themen hinweg. Nur in einem offenen und ehrlichen Dialog können wir einander sehen, verstehen und den Blickwinkel erweitern.
Während des Tages ist ein Team des Fernsehsenders Makan dabei, welches einen Bericht über unser Projekt verfasst. Der Beitrag kann unter folgender Adresse aufgerufen werden:
Eindrücke unserer israelischen Partner als Gastgeber mit uns
unsere Eindrücke als Gäste im Land
Was wäre aber ein solcher Abend ohne ein Essen, das alle miteinander verbindet? Davon gibt es genügend und es schmeckt sehr lecker.
Mansaf, eine beduinische Spezialiät
14.2.2019 Tel Aviv-Jaffa – unser letzter Tag
Nach so viel Diskussion und Reflexion steht am letzten Tag wieder ein Ausflug auf dem Programm. Heute dürfen wir Tel Aviv kennenlernen. Wir beginnen in Jaffa, einer Hafenstadt, die schon in der Antike existierte, heute aber zu Tel Aviv gehört. Dort besuchen wir die Organisation Reut Sadaka, die sich für ein friedliches Zusammenleben von Arabern und Juden in Israel einsetzt.
Besuch bei Reut Sadaka
Danach geht es über Tel Avivs größten Markt, den Carmel Market, der allein durch sein Angebot aufzeigt, wie stark die beiden Kulturen sich schon kulinarisch vereint haben.
Carmel Market, Tel Aviv
Und anschließend auf eine Tour durch das pulsierende Tel Aviv. Die Israelis sagen, in Jerusalem wird gebetet, in Haifa gearbeitet und in Tel Aviv Party gefeiert. Das ist wohl richtig, denn Tel Aviv ist eine Stadt mit einem sehr hohen Anteil von Jugendlichen, aber sie gehört auch zu den wichtigsten Wirtschaftsmetropolen im Nahen Osten. Vor 110 Jahren wurde Tel Aviv gegründet und ist damit noch eine relativ junge Stadt, in der verschiedene Baustile aufeinandertreffen – Kolonialstil, Bauhaus und Moderne.
Unser Streifzug durch Tel Aviv endet mit einer Streetart Tour in Florentine, einem sehr hippen und angesagtem Viertel, welches, wie viele andere Viertel in den Metropolen der Welt, gerade einer starken Gentrifizierung unterliegt. Die Künstler machen mit ihren Graffitis auf Missstände in Gesellschaft und Politik im eigenen Land und überall auf der Welt aufmerksam.
We were all once refugees
Selfieismus – Kill the moment
Mit diesem Blick auf Jaffa verabschieden wir uns von einem Land voller Gegensätze und voller Gastfreundschaft. Mit im Gepäck nach Hause haben wir viele Eindrücke, ungeklärte Fragen, viele schöne Erinnerungen und vor allem die Freude auf den Besuch unserer neuen israelischen Freunde bei uns in Deutschland. Wir freuen uns sehr darauf, ihnen unser Land und unser Leben zeigen zu dürfen.
15.2.2019
Heute sind wir planmäßig und wohlbehalten wieder zu Hause angekommen.
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